Ich
darf mich kurz selbst vorstellen. Mein Name ist René Zitter. Seit 6 Jahren
arbeite ich als gerichtlich anerkannter Dolmetscher für Russisch und Englisch.
Ich lebe zusammen mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern in Frankfurt am
Main. Anfangs übersetzte ich für ein großes Unternehmen, machte mich dann aber
selbstständig. Der Job war perfekt für mich. Jede Menge Freizeit die ich mit
meinen Töchtern und meiner Geliebten verbringen konnte und trotzdem stimmte das
Einkommen. Meist waren es Geschäftsleute die auf dem Flughafen in
Schwierigkeiten mit ihrem Pass oder sonstigem gerieten. Ein Zeitaufwand von
einer Stunde und ich hatte ausgesorgt für den restlichen Monat. Alles lief gut,
bis ich mich auf das Angebot vom städtischen Gericht eingelassen habe.
Am
Gericht selbst bekam eine kurze Unterweisung, um was sich das Ganze drehte. Dem
Angeklagten wurde vorgeworfen zwei Mädchen vergewaltigt und danach getötet zu
haben. Sein Vorstrafenregister sprach nicht wirklich für ihn, trotzdem sollte
man immer an etwas Gutes im Menschen glauben. Aber nach den ersten beiden
Verhandlungen bei denen ich übersetzte, bekam ich aber selbst immer mehr und
mehr das Gefühl als würde er sich in ein Netz aus Lügen einspinnen.
Heute
ist der Abend vor seiner wohl letzten Verhandlung. Ich wusste nicht weshalb ich
nervös war, und war mir des Ausgangs der Verhandlung schon beinahe bewusst.
Aber tief drinnen fühlte ich mich unwohl, weil alles so glatt von Statten ging.
Am
nächsten Morgen kam ich leichter aus dem Bett als gedacht. Der Tag hatte
eigentlich gut angefangen, meine Kleinste war im Kindergarten, die Größere in
der Schule und meine Frau war in der Arbeit; mit meiner Geliebten traf ich mich
also später. Die Verhandlung sollte erst gegen Mittag stattfinden, aber schon
gegen 10 Uhr läutete mein Telefon und ich wurde zum Gericht berufen.
Es
dauerte nicht lange bis ich dort ankam. Sofort wurde ich von zwei Wachmännern
links und rechts in den Saal geführt. Da hätte ich schon bemerken sollen, dass
das keine normale Verhandlung werden sollte. Es waren auch keine Angehörigen,
geschweige denn Zuschauer gestattet.
Der
Angeklagte saß neben seinem Anwalt, einem anderen als bei den ersten
Verhandlungen. Beide unterhielten sich auf Russisch, konnten wohl kein einziges
Wort Deutsch. Ich hatte den üblichen Platz in der Nähe des Richters auf einer
erhöhten Position.
Der
Anwalt, der seinen Platz direkt neben dem Angeklagten hatte, sah nicht wirklich
professionell aus, passte optisch aber zu seinem Mandanten. Beide trugen nicht
gerade saubere Kleidung, hatten zerzauste Haare und schiefe Zähne. Ohne dabei
vorurteilhaft klingen zu wollen, aber eigentlich wie man sich einen typisch
russischen Mann vorstellte.
Wie
dem auch sei, die Verhandlung begann, und von dem Moment an war ich im Visier
des Angeklagten. Er starrte mir die ganze Zeit über tief in die Augen. Ich
übersetzte alles, was der Richter und die Staatsanwälte dem Angeklagten sagten,
und natürlich dessen Antworten.
Je
länger die Verhandlung dauerte, desto nervöser wurde er. Vor allem, weil der
Blick des Angeklagten keine Sekunde von mir abwich. Selbst wenn er mit seinem
Anwalt sprach, war sein Haupt zu mir gewandt.
Irgendwann
fing er an sich zu weigern, auf einzelne Fragen zu antworten. Das geschah nicht
zu seinen Gunsten, und die Geschworenen standen kurz davor, darüber abzustimmen
ob er schuldig oder unschuldig sei. Nicht einmal 15 Minuten später stand das
Urteil fest, alle wurden noch einmal in den Saal gerufen um das Urteil
rechtskräftig zu sprechen. Der Angeklagte schien sich auf der sicheren Seite zu
sehen, er grinste mich die ganze Zeit über an und zwinkerte mir zu. Plötzlich
sagte er etwas auf Russisch. Ich brauchte einige Zeit um zu realisieren was es
war. Er schien drohte mir. Er meinte, wenn er ins Gefängnis kommt, dann würde
er der Mafia Bescheid geben, dass ich seine Aussage verfälscht habe. Er behauptete
zu wissen wo ich wohne, und dass ich verheiratet bin. Dass er es ernst meinte,
wusste ich erst, als er die Namen meiner beiden Töchter erwähnte. „Вы найдете
вас.“, sagte er zu mir. Mir wurde beim bloßen Gedanken daran übel. „Sie werden
euch finden.“ hieß der Satz übersetzt. Der Richter wollte wissen was er gesagt
hatte, und nochmal sprach der Russe und sagte mir, dass wenn ich dem Richter
erzählte, dass er mich bedroht hatte, das Ausmaß meiner Strafe weit
schlimmer wird. „Er plädiert immer noch auf nicht schuldig.“, sagte ich dem
Richter mit zitternder Stimme und aus den Augenwinkeln beobachtete ich wie der
Russe mir zunickte.
Trotzdem
fiel das Urteil auf schuldig, lebenslange Haft für die außerordentliche
Brutalität beim Vorgang der Vergewaltigungen und der Morde. Ich informierte den
Russen über den Stand der Dinge, er lachte nur und sagte mir auf Russisch: „Ich
habe dich gewarnt.“
Nachdem ich aus dem Gerichtssaal gegangen bin und das Gebäude verließ, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als meine Töchter abzuholen und mich zu Hause zu verbarrikadieren. Die Schule lag näher, deshalb holte ich zuerst meine ältere Tochter ab, dann zum Kindergarten. Doch als ich dort ankam musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass weder meine ältere, noch meine jüngere Tochter dort waren wo sie hätten sein sollen. Ich rief meine Frau auf dem Handy an. Es klingelte eine halbe Ewigkeit. Mein ganzer Körper zitterte. Endlich hob sie ab. „Sind die Kinder bei dir?!“, brüllte ich vor lauter Panik ins Telefon. Ich hörte wie meine Frau am anderen Ende erschrak, doch sie antwortete, dass sie die beiden abgeholt hatte. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie erleichtert ich war. Plötzlich hörte ich die Klingel unserer Haustür. „Ich muss auflegen Schatz, jemand ist an der Tür.“ Klick. Aufgelegt… So schnell konnte es nicht gehen. Oder? Meine Nervosität stieg ins Unermessliche. Ich knallte die Autotür hinter mir zu und fuhr auf schnellstem Weg nach Hause. Dort angekommen, sah ich die Haustür offen stehen. Ach du Scheiße… So viele Dinge schossen mir durch den Kopf. Halb auf dem Gehsteig stellte ich das Auto ab und sprintete ins Haus und fand dort meine beiden Töchter spielend und meine Frau mit der Nachbarin tratschend. Das alles war irgendwie zu viel für mich. Ich konnte den Emotionen nicht standhalten und brach zusammen.
Als
ich wieder aufwachte befand ich mich auf der Couch im Wohnzimmer. Die Sonne war
längst untergegangen und der Vollmond schien durch das Fenster. Ich schrie nach
meiner Frau. Keine Antwort. Ich schrie nochmals, lauter. Plötzlich kamen
schnelle Schritte aus dem Flur und meine Frau kam schnaufend ins Zimmer. „Was
brüllst du denn so?“, fragte sie mich mit ernster Miene. Ich ließ mich wieder
zurück auf die Bank fallen, kurz vergaß ich, dass ich keine Zeit zum Zögern
hatte.
Ich
musste die Fenster und Türen schließen. Meine Frau hatte diese dumme
Angewohnheit, die Haustür offen stehen zu lassen damit wir tagsüber immer
frische Luft im Haus hatten, nur leider vergaß sie dann immer die Tür wieder zu
schließen. Doch genau als ich den Türgriff in der Hand hatte, sah ich von der
Straße eine dunkle Gestalt auf mich zukommen. Das Licht von drinnen fiel auf
ihn und ich sah den glänzenden Metallgegenstand in seiner Hand. Als er mich
bemerkte stürzte er auf mich zu und erreichte mich noch bevor ich die Tür
schließen konnte. Der Gegenstand entpuppte sich als Messer, mit dem er sofort
versuchte mich anzugreifen. Er zerrte mich hinaus ins Freie und schnitt mir in
die Hand. Ich spürte wie Blut auf den Boden tropfte. Plötzlich stieß mich der
Mann einfach um und lief davon. Einfach so. Bevor noch etwas Schlimmeres
geschehen konnte lief ich zurück ins Haus, diesmal verschloss ich wirklich jede
Tür und jedes Fenster. Meine Frau verband sofort die Wunde und als ich ihr
erklärte was geschehen war, war sie genauso perplex wie ich. Alle Rollläden
waren herunter und meine Frau wollte zu Bett gehen, als plötzlich noch einmal
jemand an der Tür klopfte und die Klingel betätigte. Es war beinahe
Mitternacht. Wer würde um diese Zeit noch zu Besuch kommen? Erst als ich von
draußen hörte: „Aufmachen, Polizei!“ war ich etwas beruhigt. Ich öffnete den
Herren die Tür, doch ich hatte nicht mit ihrer Reaktion gewartet. Es waren 4
Beamte, die hinteren beiden hatten längst ihre Pistolen auf mich gerichtet, als
die anderen beiden mich auf den Boden warfen und mir Handschellen anlegten.
„René Zitter, sie werden des Mordes verdächtigt.“ Ich schrie um Hilfe, doch
natürlich konnte mir niemand helfen. Die Beamten zerrten mich in ihren Wagen
und fuhren mit mir aufs Revier. Dort verbrachte ich die Nacht in U-Haft, die
Verhandlung sollte schon am nächsten Tag stattfinden. Einen Anruf durfte ich
zum Glück tätigen, und konnte so meiner Frau mitteilen, dass sie sich keine
Sorgen um mich machen musste. Immerhin hatte ich nichts angestellt.
Der
nächste Morgen kam in Windeseile, als hätte ich nur einmal gezwinkert, dabei
war ich mir sicher kein Auge zugetan zu haben. Mit Handschellen wurde ich in
den Gerichtssaal gebracht, in dem ich gerade noch einen Tag zuvor gedolmetscht
hatte. Dieses Mal saß ich dort, wo letztens der Russe saß, dessen Urteil
lebenslänglich lautete.
Die
Verhandlung begann. Mir wurde ein Anwalt zugewiesen, der wohl vom Gericht
selbst stammte. Ich muss zugeben, die Beweislast war erdrückend. Und erst viel
zu spät bemerkte ich die ganzen Zusammenhänge. Es wurden sowohl meine
Brieftasche, als auch ein Messer mit meiner DNA, um genauer zu sein,
Blutspuren, gefunden. Keine Fingerabdrücke, aber die konnte auch jeder Laie
verbergen. Nur wie kamen all diese Sachen an den Tatort? Es war so verdammt
simpel. Sogar die Tatwaffe konnte ich wiedererkennen. Kein Wunder, mit dem Messer
wurde ich ja auch angegriffen. Mein Auto hatte ich nicht verriegelt, verständlich
also, dass sie an meine Brieftasche gekommen waren. Die Russen fackelten
wirklich nicht lange.
Ich
wollte mich rechtfertigen und erklären wie das alles abgelaufen war, doch
selbst in meinen Ohren klang es nach einer schlecht erfundenen Geschichte. Ich
bekam nur einmal die Chance etwas zu sagen, und da realisierte ich, was gerade
geschah, passierte es…
Mit
einem Mal saß ich aufrecht in meinem Bett. Das Laken und die Decke vollkommen
verschwitzt, und dann saß ich da und dachte, ich würde damit zurechtkommen.
Doch als ich hochsah standen die beiden vor mir, meine Frau und… meine
Geliebte.